Niederspannung (230/400 V) – Grundlagen, Systeme und Besonderheiten
Der Niederspannungsbereich umfasst laut VDE in der Spannungen bis zu 1000 V AC, wobei in der Praxis das 230/400 V-System im Mittelpunkt steht. Dieses bildet die Grundlage der Energieverteilung in Wohngebäuden, Gewerbeeinrichtungen und einem Großteil der Industrieanlagen. Die dreiphasige Versorgung (Drehstrom) mit Neutralleiter ermöglicht eine hohe Flexibilität im Netzaufbau und eine effektive Leistungsübertragung.
Netzformen: TN, TT, IT
TN-System (Terre-Neutral):
Im TN-System ist der Neutralpunkt der Stromquelle (meist der Sternpunkt des Transformators) direkt mit Erde verbunden. Der Schutzleiter wird daraus abgeleitet.
- TN-C: Neutralleiter und Schutzleiter sind kombiniert (PEN-Leiter). Klassische Nullung, heute nicht mehr erlaubt!
- TN-S: Neutralleiter (N) und Schutzleiter (PE) sind durchgehend getrennt. Der Netzbetreiber liefert schon von Anfang an einen separierten PE und Neutralleiter.
- TN-C-S: In der Praxis am häufigsten. Hier wird das Netz vom Energieversorger zunächst als TN-C bereitgestellt (PEN-Leiter). Ab der Kundenanlage erfolgt dann die Auftrennung in Neutralleiter (N) und Schutzleiter (PE).
Beispiel: Klassisches Wohn- oder Bürogebäude in Deutschland – die Standardversorgung des Netzbetreibers ist fast immer ein TN-C-S-System.
Im Schaltbild (unten) sehen wir ein TN-C-S Netz, vor der Auftrennung im HAK kommt die Zuleitung des Energieversorgers im TNC Netz. Der PEN wird im Hauptanschlusskasten (HAK) dann separiert zum Neutralleiter und PE Leiter.

TT-System (Terre-Terre):
Der Neutralpunkt des Versorgungsnetzes ist geerdet, der Schutzleiter (PE) wird jedoch unabhängig lokal über eine Erdungsanlage hergestellt. Neutralleiter und Schutzleiter sind also nicht verbunden. Es muss kein PEN vom Versorgungsnetzbetreiber mitgeführt werden.
Beispiel: Ländliche Gebäude oder ältere Anlagen mit eigener Erdungsanlage. Ein Fehlerstrom der beispielsweise im Verbraucher auftritt würde über das Gehäuse, über die lokale Erdung vor Ort durch den Boden zurück zur Sternpunkterde fließen.

IT-System (Isolé-Terre):
Kein aktiver Leiter ist direkt mit Erde verbunden. Fehlerströme gegen Erde sind daher sehr klein, was eine besonders hohe Ausfallsicherheit bietet.
Beispiel: Medizinische Bereiche (OP-Säle), industrielle Anlagen und Rechenzentren, bei denen der Betrieb auch im Fehlerfall aufrechterhalten werden muss.

Schutztechnik und Selektivität
Im Niederspannungsnetz dienen Leitungsschutzschalter (LS), Fehlerstromschutzschalter (RCD), Sicherungen und Überspannungsableiter dem Schutz von Mensch, Anlage und Infrastruktur. Die Selektivität stellt sicher, dass im Fehlerfall nur der betroffene Stromkreis abgeschaltet wird. Eine abgestufte Auslegung von Schutzorganen ist hierbei essenziell.
LS-Schalter (z. B. B16): Schutz vor Überlast und Kurzschluss. Charakteristik (B, C, D) bestimmt Auslösestrom.
RCD (30 mA, 300 mA etc.): Schutz vor Fehlerströmen, z. B. durch Körperströme.
Lastverhalten: Ohmisch, Induktiv, Kapazitiv
Ohmische Lasten wie Heizungen oder Glühlampen zeigen keine Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung.
Induktive Lasten (z. B. Motoren) erzeugen eine Stromverzögerung. Der Cosinus phi sinkt, Blindleistung entsteht.
Kapazitive Lasten (z. B. Schaltnetzteile großer IT-Anlagen) lassen den Strom voreilen.
Ein unsauberes Verhältnis dieser Lasten kann zu Netzrückwirkungen führen (Oberschwingungen, Spannungseinbrüche). Besonders bei modifizierter Sinusspannung zeigen sich diese Effekte deutlich.
Einschaltverhalten und Kurzschlussstrom
Der Einschaltstrom bei Motoren oder Transformatoren kann ein Vielfaches des Nennstroms betragen. Das resultiert aus der fehlenden Gegeninduktion im Stillstandszustand. Leitungsschutz und Dimensionierung müssen diesen Effekt berücksichtigen.
Zur Dimensionierung von Schutzorganen und Leitungen wird oft die sogenannte Schleifenimpedanz gemessen. Sie erlaubt die Berechnung des maximal möglichen Kurzschlussstroms am jeweiligen Punkt. Dabei gilt:
> Je niedriger die Impedanz, desto höher der Kurzschlussstrom und desto schneller die Auslösung des LS.
Messgeräte (z. B. Gossen Metrawatt Profitest) arbeiten dabei mit definierten Prüfströmen und ermitteln den Spannungsfall, um daraus die Impedanz zu berechnen. Die Angabe des LS-Schalters dient lediglich der Orientierung – die Messung selbst ist physikalisch unabhängig von der Einstellung.
Netzqualität und Kompensation
Blindleistung verursacht unnötige Netzbelastung und erhöht die Stromkosten. Besonders bei induktiven Lasten kann eine Kompensation mit Kondensatorbatterien sinnvoll sein. In IT-Umgebungen sind aktive Netzfilter im Einsatz, um hochfrequente Störungen (Oberschwingungen) zu eliminieren.
Fazit
Der Niederspannungsbereich ist der sichtbarste und praktisch relevanteste Teil der Energieverteilung im Alltag. Er birgt jedoch eine hohe technische Komplexität, insbesondere im Zusammenspiel von Schutztechnik, Netzqualität und physikalischen Effekten. Eine fundierte Planung und Analyse – auch bei kleinen Anlagen – ist entscheidend für Sicherheit, Effizienz und Langlebigkeit.
